Greener Cities Issue #005 | Urban Farming – Ernten im Herzen der Stadt

Was die Landwirtschaft herausfordert.

Ein Blick ins Jahr 2050: Auf unserem Planeten leben neun Milliarden Menschen, 75 % davon in Städten. 80 % aller Lebensmittel werden dort konsumiert. Wie kann eine Landwirtschaft funktionieren, die in Zukunft diese riesige Weltbevölkerung ernähren soll? Und das, ohne den Klimawandel weiter zu befeuern?

Frau pflückt drei frische Tomaten vom Strauch
Korb gefüllt mit frischem Obst und Gemüse

Heute gehen 70 % des weltweiten Wasserverbrauches und 30 % aller CO²-Emissionen auf das Konto der Landwirtschaft. Zwei Drittel der weltweiten Ackerflächen werden für den Anbau von Tierfutter und Biokraftstoff genutzt. Diese exzessive Landnutzung und der enorme Ressourcenverbrauch beschleunigen die Erderwärmung. So gefährden in Zukunft Dürren, Hitzewellen und Starkniederschläge unsere Welternährung. Bekanntermaßen müssen wir unseren Fleischkonsum in Industrie- und Schwellenländern deutlich reduzieren. Und neue Lösungen finden, um die wachsende Stadtbevölkerung nachhaltig mit regionalen Nahrungsmitteln zu versorgen: kurze Transportwege, kurze Kühlketten, weniger Co². Weltweit entstehen heute innovative Konzepte für eine urbane Lebensmittelproduktion – einige davon stellen wir dir hier vor.

Gewächshäuser und Community Garden in der Großstadt

Die Landwirtschaft zieht in die Stadt.

Auch künftig werden Agrarflächen außerhalb der Ballungszentren wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Kartoffeln oder Reis vorbehalten bleiben – Kulturen, die viel Platz benötigen. Doch inmitten der Städte ermöglicht „Vertical Farming“ – das Züchten der Pflanzen auf mehreren Ebenen übereinandern – den platzsparenden Anbau von Gemüse und Salaten. Schon 1960 gab es erste Versuche, Pflanzen in Regalsystemen zu züchten. Um 2000 hatte ein New Yorker Forscher die Vision, auf allen Stockwerken eines Hochhauses Pflanzen in Hydrokulturen anzubauen. Eine Idee, deren Umsetzung im größeren Rahmen noch auf sich warten lässt. Treibhäuser auf Gebäudedächern dagegen sind bereits Realität: auf Schulen und Supermärkten in den USA und Japan ebenso wie auf dem Jobcenter in Oberhausen, wo Grauwasser, Abwärme und Abluft aus den Büroräumen für die Pflanzenzucht verwertet werden. In Brooklyn sind 1500 m² Dachfläche mit Salatpflanzen begrünt.

Indoor Farmen.

Neue Technologien wie LED ermöglichen den Betrieb von Indoor Farmen. Unter künstlichem Licht und unabhängig von Böden und Wetter werden hier Lebensmittel erwirtschaftet. Eine dieser Farmen steht in Berlin-Schöneberg, dort züchtet man Basilikum. Und Barsche. Nach dem Motto „Fisch düngt Pflanze“ nutzt man moderne Aquaponik. Ein Kreislaufsystem, das hier über 90 % Wasser spart, ohne Antibiotika und Pestizide auskommt und den Dünger für die Pflanzen selbst produziert – aus dem, was die Fische ausscheiden. So funktioniert Lebensmittelproduktion inmitten der Stadt, raumsparend und mit wenigen Ressourcen. Auch Müllprobleme ließen sich künftig durch eine solche urbane Kreislaufwirtschaft lösen – Speisereste und sauber getrennter, verwertbarer Biomüll könnten als Futter für Fische, Futterinsekten oder Basis für Pflanzennährlösungen dienen.

Schwimmende Farmen in Rotterdam

Schwimmende Farmen.

In Rotterdam schwimmt seit 2019 die weltweit erste Floatingfarm – auf Pontons aus nachhaltigen Materialien. Angesichts steigender Meeresspiegel soll dieses Konzept küstennahen Metropolen auch bei Überflutungsgefahr eine Lebensmittelgrundversorgung sichern. Für die Nachbarschaft könnten so Naherholungsgebiete entstehen, „Grüne Lungen“ auf dem Wasser, die das städtische Klima verbessern. Das Pilotprojekt in Rotterdam beherbergt aktuell rund 40 Kühe. Ihr Futter stammt zu 80 % aus umliegenden Betrieben - gemähtes Gras vom Fußballklub Rotterdam, vom Golfplatz, Kartoffelreste aus der Lebensmittelindustrie. Gemolken wird nach Bedarf und per Roboter, die Milch kann direkt an Bord weiterverarbeitet werden. Die Gülle dient als Dünger für Pflanzen und Parks in der Stadt – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.

Indoor Farming in der Großstadt
Kuhstall auf dem Land

Farmen für alle.

Ein weniger zentriertes und technisiertes, aber sehr schönes Projektbeispiel für die vielfältigen Aspekte und den gemeinschaftlichen Charakter von Urban Farming ist der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg. Eine 6.000 m² große Brachfläche wurde dort rekultiviert und ist seit 2009 ein Gemeinschaftsgarten mit Imkerei. Alle Beete sind öffentlich und mobil angelegt in recycelten Bäckerkisten, Tetra Paks und Reissäcken. Jeder, der mitgärtnern möchte, ist willkommen. Hier können die Anwohner einander begegnen, gemeinsam und voneinander lernen. Sie ernten ökologische Lebensmittel, gestalten aktiv ihre Umgebung und schaffen lebenswerte Naturnähe inmitten ihres Kiez.

Zurück zu den Wurzeln.

Urbane Produktion und nachhaltige Kreislaufwirtschaft, direkt dort, wo Lebensmittel konsumiert werden, schont Ressourcen und senkt Emissionen. Rund 40 % aller Nahrungsmittel, – insbesondere Gemüse, Salate, Fisch - könnten zukünftig direkt in der Stadt erzeugt werden. Mit dem Nebeneffekt, dass wir Städter:innen einen besseren Bezug zu der Landwirtschaft vor unserer Haustür bekommen, wieder lernen, ihre Erzeugnisse wertzuschätzen und weniger Lebensmittel wegwerfen.

Urban Farming ist einer der Lösungswege für die Welternährung angesichts Bevölkerungswachstums und Klimawandels. Unkonventionell, innovativ, ökologisch. Es wird das Bild unserer Städte nachhaltig verändern. Die Natur kehrt zurück – auf Dächer, Pontons, an Häuserfronten und hinter Glasfassaden. Für uns schafft es wieder mehr Berührungspunkte mit den Ursprüngen unserer Lebensmittel.

Bis Veränderungen im großen Stil sichtbar werden, können wir unseren städtischen Lebensraum schon heute aktiv mitgestalten – beim Urban Gardening für den Eigenbedarf auf dem heimischen Balkon, bei lokalen Gemeinschaftsprojekten wie dem Prinzessinnengarten oder einfach mit ein paar wohlplatzierten Seedbombs, die Bienen im Sommer Futter bieten.

Denn die Stadt von morgen fängt heute an.

Urban Produktion von Obst und Gemüse